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Vortrag D.Löffler bei Veranstaltung "25 Jahre Naturgemäßer Waldbau in Hessen"

29.10.2014
Naturgemäße Waldwirtschaft in Hessen – eine Standortbestimmung der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) in Hessen
Dagmar Löffler in Gießen/FENA, den 29.10.2014 zum Seminar „25 Jahre Naturgemäßer Waldbau“


Standortbestimmung – da gibt es einen gedanklichen Reflex zum „eisernen Gesetz des Örtlichen“ mit den sinngemäßen Fragen:
  1. Wer sind wir?
  2. Wo kommen wir her?
  3. Wo stehen wir?
  4. Wo gehen wir hin?

1. Wer sind wir?

Die ANW ist zuerst mal das „A“, nämlich eine Arbeitsgemeinschaft, seit 1950 ein Zusammenschluss von Waldbesitzern, Forstleuten, Wissenschaftlern und Waldinteressierten, die sich mit dem Ziel der „Naturgemäßen Waldwirtschaft“ für eine besonders verantwortungsbewusste, im umfassenden Sinne nachhaltige und damit multifunktionale, naturverträgliche Form der Waldwirtschaft einsetzen.
Auf die Gefahr hin, dass sich das zum Intro erschreckend formal anhört, möchte ich das doch mal so gesagt haben, weil die ANW entgegen hartnäckiger Gerüchte weder ein Waldnaturschutzverein ist noch ein Verein zur Entnahme homöopathischer Holzmengen und auch kein Verein zur Freistellung von Z-Bäumen.
Als Arbeitsgemeinschaft bilden wir ein Forum für den Erfahrungs- und Gedankenaustausch, es herrscht Pluralismus, Offenheit, Unabhängigkeit. Wir sind gemischt, breit aufgestellt, diskursiv, auf das Ziel zeigend – nämlich Dauerwald als Prozess.
Die ANW strebt auf der Basis einiger Handlungsgrundsätze eine - und hier kommt ausnahmsweise mal das Wort „maximal“ vor – eine maximale Schnittmenge von ökologischen und ökonomischen Aspekten in der Waldbewirtschaftung an.
Die Leitgedanken dazu wurden in der Grundsatzerklärung der ANW 1950 so formuliert:

„Die Grundidee Naturgemäßer Waldwirtschaft ist die ganzheitliche Betrachtung des Waldes als dauerhaftes, vielgestaltiges und dynamisches Ökosystem.“

Diese Wirtschaftsweise versucht sich den natürlichen Prozessen anzupassen – nicht umgekehrt – deshalb wird sie als „naturgemäß“ bezeichnet.
Ziel Naturgemäßer Waldwirtschaft ist der Dauerwald.
Der Dauerwald ist nach Alfred Möller ein ungleichaltriger, gemischter und möglichst mit hochwertigen Vorräten bestockter, vertikal strukturierter und ökologisch wertvoller Wald, in dem die Selbststeuerungsprozesse der Natur genutzt und erhalten werden.

Naturgemäße Waldwirtschaft basiert auf der Überzeugung, dass sich der Mensch im eigenen Interesse mit seinem Handeln in die ökologischen Kreisläufe des Naturhaushalts integrieren muss. Jedes Ausscheren aus der Dynamik standörtlich angepasster Ökosysteme birgt die Gefahr künftig eingeschränkter Nutzungsoptionen und unbeherrschbarer Umweltsituationen in der Gegenwart und für folgende Generationen.
Ich darf J.-P. Schütz zitieren, der zum Dauerwald gesagt hat: „Damit ist man weit weg von jeder waldbaulichen Träumerei und mitten in einem originellen, soliden, klaren, freiheitlichen und damit hochmodernen Konzept.“
(Prof. Jean Phillipe Schütz, ETH Zürich und Pro Silva Europa)

Durch konsequente Anwendung des Plenterprinzips entsteht der Dauerwald.
Das Plenterprinzip beinhaltet die einzelbaumweise Nutzung und Pflege im Sinne einer permanenten Auslese und Vorratspflege. Ernte, Pflege und Erneuerung finden dabei auf gleicher Fläche und zu gleicher Zeit statt. Es gilt eine universelle Anwendbarkeit für alle Baumarten und Wälder. Die Dauerwaldformen hingegen sind verschieden.

Oder wie Baron von Rotenhan es kurz und knackig beschreibt:
„Dauerwald heißt dauernd nutzen, dauernd pflegen und dauernd jagen.“

Naturgemäße Waldwirtschaft ist insbesondere eine handwerkliche Verbindung aus ökonomischen und ökologischen Aspekten, inspiriert und zusammengeführt durch das Haushaltsprinzip. Sie dient verschiedenen Interessen, sie bedient aber nicht beliebig den Holzmarkt, nicht ein vermeintlich ideales Waldbild und auch kein Dogma.

Als Prüfsteine und Handlungsmaximen gibt es Grundsätze. Die ANW Hessen hat sie in einem Grundsatzpapier erläutert und ihnen folgende Überschriften gegeben:
Grundsätze sind keine statischen Regeln, sondern sie stoßen einen induktiven Prozess an, wobei das Handeln auf der Basis dieser Grundsätze an jedem Ort abhängig von den dort herrschenden Gegebenheiten und auf Grundlage von guten waldbaulichen Kenntnissen sowie Ortskenntnis, Beobachtung und Erfahrung intelligent und adaptiv umgesetzt werden muss.
„Jedes Schema widerspricht dem inneren Wesen des Waldbaus.“, sagte Hans Leibundgut.

2. Wo kommen wir her?

Die ANW-Landesgruppe Hessen wurde 1979 unter dem Vorsitz von Dr. Hasenkamp gegründet. Damals waren die Abkehr vom Kahlschlag, das Pflegeprinzip, die stetigen und mäßigen Eingriffe, die Abkehr von Reinbeständen, die konsequente Hochdurchforstung, u.a.m., noch radikale Ideen, die von den damaligen ANW-Infizierten ein hohes Maß an der heutzutage so wertgeschätzten „Resilienz“ forderten. Denn für die Bewirtschaftung der Wälder galten bis in die 80er Jahre die klaren Regeln und Ordnungsprinzipien des klassischen schlagweisen Altersklassenwaldes. Das bedeutete für die meisten Baumarten künstliche Verjüngung und Großschirmschlag in der Buche.
Die Umtriebszeiten waren das wichtigste Kriterium für die Herleitung des Hiebssatzes und damit für den Einschlag mit der ebenfalls vom Alter bestimmten Vor- und Endnutzung.
Dann gab es zunehmend Schwierigkeiten, die starren Regeln einzuhalten. Kalamitäten, Absatzschwierigkeiten und nicht kostendeckende Erlöse vor allem in den schwächeren Segmenten führten zu Pflegerückständen in den Jungbeständen und Überhieben in den Endnutzungen. Neue Fichtenreinbestände verdrängten teure Laubholzkulturen, chemische Kampfmittel gegen allerlei Unkraut und Ungetier, nicht zuletzt gegen Wildschäden, und vermehrter Maschineneinsatz zur Bodenbearbeitung führten spätestens in den 80er Jahren im Geleit des einsetzenden „Waldsterbens“ zu starken Zweifeln an der Waldbewirtschaftung bis hinein die alarmierte Bevölkerung. Ein breites Umdenken hin zu mehr Ökologie führte in diesen Jahren zu einer rasanten Entwicklung der ANW.
Der Privatforst der Freiherren von Schenck zu Schweinsberg wurde unter der Leitung von Dr. Hasenkamp seit 1955 bereits naturgemäß bewirtschaftet und war seit der 70er Jahre ein viel besuchter Vorführbetrieb, der in Hessen zum Mittelpunkt der einsetzenden Auseinandersetzung um die naturgemäße Waldwirtschaft wurde. Gute Ideen sind im Allgemeinen unbremsbar, münden nach und nach in Allianzen und schließlich in Akzeptanzen. So hat die hessische ANW von Beginn an versucht, mit der Landesforstverwaltung in Kontakt zu kommen und das sachliche Gespräch gesucht.
Die beispielhafte langjährige Arbeit der ANW hat schließlich zur Umstellung im Staatswald geführt. 1991 wurde unter dem Staatssekretär Jörg Jordan auf „naturnahen Waldbau“ mit Kahlschlagverbot umgestellt. Der neue Waldbaudezernent Dr. Roedig hatte mit dem nachfolgenden Vorsitzenden der ANW, Dr. Jochen Stahl-Streit, Leiter des Forstamts Butzbach, eine sehr gute Gesprächsebene, die den Konfrontationskurs auf angenehme Weise ablöste. Dieser guten Beziehung von Dr. Roedig und Dr. Stahl-Streit haben wir sicher viel zu verdanken und deshalb danke ich Ihnen, Herr Dr. Roedig, an dieser Stelle ausdrücklich im Namen der ANW! Es ist wunderbar, dass Sie heute bei uns sind!
Dagegen sind wir in stillem Gedenken an Jochen Stahl-Streit, der nach langer Krankheit vor drei Monaten von uns gegangen ist, er hatte sich schon auf die Veranstaltung gefreut und wäre sehr gern hier und heute mit dabei gewesen.
Er hat die ANW in Hessen entscheidend geprägt, konsequent in der Sache, aber immer bemüht, zwischen den anspruchsvollen Zielen der ANW und dem Leistbaren eines Landesforstbetriebes sachlich zu vermitteln. In seinem eigenen Forstamt Butzbach hat er es mit der ihm eigenen Offenheit und im Team mit seinen Revierleiterkollegen geschafft, als ANW-Vergleichsbetrieb die Grundsätze der NWW erfolgreich umzusetzen.

Dr. Roedig erarbeitete seinerzeit einen neuen Waldbauerlass mit geänderten Vorgaben für eine entsprechende Waldbehandlung. In der Einführung heißt es: „Die unter dem Begriff „naturgemäße Waldwirtschaft“ bekannte waldbauliche Vorgehensweise hat sich in jahrzehntelang engagiert danach wirtschaftenden Forstbetrieben beispielhaft bewährt. Die Ziele unserer heutigen ökonomischen wie ökologischen Vorstellungen im Wald können mit naturgemäßem Waldbau in einer Weise in Einklang gebracht und miteinander so verknüpft werden, dass eine naturnahe, stabile Mehrzwecknutzung nachhaltig möglich ist. Die überkommene schlagweise Hochwaldwirtschaft muss heute durch naturgemäßen Waldbau verändert werden.“
Und in einem weiteren Absatz heißt es: „Weniger die akkurate Erfüllung, Buchung und Kontrolle der Einzelplanempfehlungen im Betrieb als vielmehr die Verwirklichung der insgesamt anzustrebenden waldbaulichen Ziele stehen im Vordergrund.“

3. Und wo stehen wir heute?

Blickt man auf die Vergangenheit, muss man feststellen, dass wir heute in Theorie und Willenserklärungen auf vergleichsweise hohem Niveau diskutieren. Heute steht in der RIBES und der Waldbaufibel eindeutig unzweideutig, dass die anvisierte Betriebsform künftig Dauerwald heißt und dass naturgemäßer Waldbau das schlagweise Waldgefüge durch dauerwaldartige Strukturen ablösen soll. Das ist eine durchaus positive Botschaft. Wie aber hat sich das Gesicht des Waldes in Hessen in den letzten 25 Jahren verändert? Wie sind die Botschaften im Wald, in der Praxis angekommen und umgesetzt worden? Da ist es bisweilen auch mal enttäuschend, ehrlich gesagt. Natürlich gibt es zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer eine gewisse Diskrepanz. Aber es sind etliche Jahre dahingegangen in forstlicher Keimruhe, in den Wirren erst um die eine und dann um die nächste, die brutalstmögliche Reform, mit der Implementierung von Steuerungs- und Verfahrensinstrumenten, der Bedienung hoher Gewinnforderungen mit Ranking-Anreizsystem, dem Hype um den Chinamarkt und der Bewältigung von Kalamitäten. All das ließ zeitweise das Gefühl entstehen, wir seien Logistiker in einem stehenden Holzlager. Produktionsleiter sind Verkaufsleiter, Wald ist woanders. Doch langsam glätten sich die Wogen. Förster und Wald sprechen wieder miteinander. Es gibt ein Waldbautraining, das uns den Wald wieder als etwas Lebendiges und Dynamisches in Erinnerung ruft, auch mal vorsichtig hinterfragen lässt, ob die Holzlieferkette, der Harvesterunternehmer oder die Waldnachhaltigkeit primär zu bedienen sind? Aber wir sind auch wieder beschäftigt mit uns selbst, weil die Reviere langsam unseren Horizont überschreiten, weshalb wir plötzlich zu Teamplayern berufen sind, natürlich die von der resilienten Sorte! Man muss sich des Risikos bewusst sein, dass angesichts dieser schwindenden Kapazitäten irgendwann auch mal Schluss sein kann mit anspruchsvoller, multifunktionaler Forstwirtschaft. Und da ist es auch nicht ganz unwichtig, sich klar ins Bewusstsein zu rufen, dass der Wald keine prozessoptimierte Schraubenfabrik ist! Das ist ja klar, denkt jeder – aber ist es wirklich klar? In der Leitung, in der Politik, in unseren eigenen „modernen“ Denkstrukturen? Wir selbst müssen uns klar dagegen und die damit einhergehenden Segregationstendenzen in Schutz- und Nutzwald stemmen!

Die Systematik der heutigen FE ist noch den alten Denkmustern verhaftet. Folgerichtig werden dadurch bestimmte Mechanismen in der Herleitung und Verdichtung von Werten, im Denken und im Handeln ausgelöst. Man kommt aus der Nummer irgendwie nicht ganz raus. Die Frage steht an, ob nicht ein Paradigmenwechsel notwendig ist in der Forstinventur, Planung und Kontrolle, überhaupt im Umgang mit dem Instrument der Forsteinrichtung. Die relativ freie Arbeitsweise im naturgemäßen Waldbau, das zunehmend und gewollt unübersichtliche Erscheinungsbild des Waldes (ich erinnere an das Waldentwicklungsstadium „Dauerwald“) und zuletzt auch die Arbeitsweise in Teamstrukturen fordern Instrumente, die die Prozesse in geeigneter Weise abbilden und ihnen gerecht werden können.
Ein entscheidender und konsequenter Schritt aus dem Altersklassenwald heraus und in den Dauerwald hinein besteht in der Abkehr von Alter und Altersklassen sowie von Fläche und Bestandsdenken und damit auch in der Trennung von Pflege- und Hauptnutzung. Der Massenwechsel in den Nutzungsansätzen von Pflegenutzung und Hauptnutzung manifestiert systematisch den Verbleib in Altersklassenstrukturen mit allen Nachteilen, die das im Gefolge mit sich bringt.
Im Zeitalter des digitalen Zugriffs gerät Forsteinrichtung mehr zum Lenkungs-, Leitungs- und Kontrollinstrument und Förster fühlen oder verstehen sich oft als Vollzugsorgane.
Naturgemäße Waldwirtschaft braucht – und das bildet sich auch in der künftigen Vision von Teamstrukturen ab - mehr Spielraum und Vertrauen. Die ANW hat die Vorstellung, dass Forsteinrichtung ein Entwicklungsinstrument ist, das belastbare Daten liefert zu Baumzahlen und Vorrat in seiner Struktur und Mischung, zu Entwicklungstendenzen, dass sie objektive Prognosen gibt zu Potentialen, Wertentwicklungen und Nutzungsoptionen. Das alles lässt sich nur in entsprechenden Stichprobenverfahren darstellen. Die Arbeit mit Ergebnissen aus Kontrollstichproben erfordert ein Loslassen und damit einen gewissen, zumindest gefühlten Kontrollverlust, sie bedeutet Delegation im umfassenden Sinn, Offenheit und Arbeit am Objekt.

Ich darf Schädelin zitieren: „Das Ideal ist nie das Wirkliche, aber das Wirkende.“
Man muss den Weg gehen, um zum Ziel zu gelangen.

Ein weiteres Problem liegt in der Tatsache, dass offensichtlich und überflüssigerweise mit dem Begriff „Dauerwald“ verschiedene Inhalte verbunden werden. Wenn Sprache nicht funktioniert, erschwert das die Verständigung und das Verständnis.
Ein Blick in das von Alfred Möller 1922 verfasste Grundlagenwerk „Der Dauerwaldgedanke. Sein Sinn und seine Bedeutung“ gibt Aufschluss: Möller kam zu dem Ergebnis, dass bei konsequentem Schutz und gezielter Pflege der waldkybernetischen Selbstoptimierungsprozesse des Waldökosystems („Stetigkeit des Waldorganismus“), der Wald eine höhere Leistung zu erbringen vermag als vergleichsweise Altersklassenwälder.
Das wird heute von der Forstwissenschaft bestätigt.
Ziel des Waldbaus ist nach Möller, den Wald dauerhaft als Produktionssystem zu erhalten und die Holzernte wie eine Frucht des Waldes anzusehen, ohne dessen biologisches Produktionssystem zu unterbrechen. Dazu definierte er 5 technische Teilziele:
Was bedeutet das konkret in der Praxis?
Niemals Handzettel, immer selber denken, viel beobachten – dazu gehören auch Exkursionen und Austausch –, herantastende (adaptive), aber konsequente Pflege (mäßig und oft), Nutzung vom starken und schlechteren Ende (stammzahlschonend, Hochdurchforstung), Förderung von Mischung und Qualität (ohne starre Z-Baum-Konzepte).
Es heißt vor allem, Abschied nehmen von der Altersklassensystematik, d. h. Loslösung von Alters- und Flächenbezogenheit im waldbaulichen Denken und Planen.
Waldbau ist kein Selbstzweck, sondern eine am langlebigen und komplexen Ökosystem Wald orientierte intelligente Umsetzung waldbaulicher Grundsätze mit dem Anspruch umfassender Nachhaltigkeit. Waldbauliches Handeln ist damit einer optimalen Gleichgewichtshaltung verpflichtet zwischen einerseits dem Erhalt der Produktionsfaktoren (Boden und Bäume ) sowie andererseits der Nutzung derselben. Eine Antwort darauf ist der Dauerwald als Betriebsform.
Wald wächst am besten im Wald und Holz wächst am besten an Holz. Unser Kapital sind Boden und Bestand, die Rendite der Zuwachs, der auf einem optimalen Dauerwaldvorrat als Produktionsmittel erzeugt werden kann. –
Eigentlich alles ganz einfach. „Es verdrießt den Menschen, dass das Wahre so einfach ist.“, sagte Goethe.
So einfach im Grundsatz und doch so stark in der Konsequenz. Genau in diesem Moment ist man faktisch im Dauerwald. Er beginnt im Kopf und jedes Hinausschieben aus irgendwelchen Gründen verzögert und verhindert die Umsetzung unnötigerweise. Dauerwald ist zu jeder Zeit und in jedem Wald möglich. Die Prinzipien sind universell und zeitlos anwendbar, die Dauerwaldformen sind verschieden.

4. Wo geht die Reise weiter hin?

Die Dinge müssen solide zu Ende gedacht werden. Auch und gerade in Hinblick auf die ökonomische Stabilität und die naturale Nachhaltigkeit des wertvollen, umweltfreundlichen und klimaneutralen Rohstoffes Holz.
Leibundgut zielte nach einer Ausnützung der vollen waldbaulichen Produktionskapazität. Diese verlangt sowohl nach einer standorgerechten Baumartenwahl als auch nach einem Bestandesaufbau, der ein dauerndes Vorhandensein des Produktionspotentials gewährleistet, wie es nach seiner Meinung nur in Form von Dauerbestockungen gegeben ist. Der Dauerwald beruht auf Einzelstammnutzung, ohne das biologische Produktionssystem Wald wesentlich zu schädigen, die Stetigkeit steht über allem. Das führt langfristig zu biologischem Strukturreichtum und zu biologisch reiferen Mischwäldern mit hohem Nischenreichtum. Deshalb ist Naturgemäße Waldwirtschaft aus ökologischer Sicht die bestmögliche Form der Waldwirtschaft. Es gibt in der Wissenschaft auch eine große Übereinstimmung darüber, dass der Dauerwald das am ehesten geeignete Wirtschaftsmodell ist, um den Auswirkungen des Klimawandels durch Baumartenvielfalt, genetische Vielfalt, Naturverjüngung, Strukturreichtum, Waldinnenklima, usw. zu begegnen.
Auch die im Kontext mit dem Klimawandel beschworene Resilienz ist nichts, was man mal eben erzeugen oder als Zusatzteil implementieren kann. Resilienz beschreibt die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Diese Widerstandsfähigkeit kommt tief aus einer inneren, gewachsenen und soliden Struktur. Struktur, Mischung und Heterogenität gilt es deshalb beständig weiter zu entwickeln.

Auf Ebene der Bundes- ANW wurde unlängst ein ökologisches Grundsatzpapier beschlossen in Anerkennung der Tatsache, dass sich eine ökologische Waldwirtschaft mit naturschutzrelevanten Standards etwa als „Dauerwald + X“ selbstverpflichten sollte.
Weiterhin gibt es in der ANW seit 2010 verschärfte Bemühungen, die Dauerwildfrage zu lösen. Ein eher unbeliebtes Thema, dem sich die meisten Landesforstbetriebe auch noch ernsthaft zuwenden müssen, wenn der Dauerwald gelingen soll. Nicht nur gesetzliche und untergesetzliche Regelungen sind verbesserungsbedürftig. Leider wird auch in den eigenen Reihen von Hessen-Forst nicht ganz nachvollzogen, dass die Jagd dienende Funktion hat für den Waldbau und die Devise klar „Wald vor Wild“ lautet, so wie es ja dem Grundtenor aller relevanten Gesetze entspricht.
Weiterhin hat die ANW vor drei Jahren eine Weißtannenoffensive gestartet und diese Baumart weit über ihr bisheriges Verbreitungsgebiet hinaus sozusagen gesellschaftsfähig gemacht.
In Kooperation mit den Universitäten werden Projekte, Untersuchungen und Gutachten erarbeitet, die naturgemäße Waldwirtschaft unter nachvollziehbaren Kriterien untersuchen und bewerten und Handwerkszeug für die Praxis erarbeiten.

Das Pfund der ANW ist, dass wir unabhängig sind und eine offene Kultur pflegen:
Jeder darf mitreden, fragen, sagen und Kritik äußern. Wir diskutieren nicht im Gesetzten, bereits Begrenzten. Das ist eine große Chance, es motiviert, fördert den freien Geist, die Eigenverantwortung, Identifikation und selbständiges Denken – es ist sinnstiftend, selbstwirksam, schafft Raum für Visionen. Man könnte auch sagen, es macht einfach Spaß! 
Die ANW ist die Avantgarde in der Waldwirtschaft, das sage ich jetzt mal ganz selbstbewusst. Viele Beispiele und Entwicklungen erhärten diesen Verdacht.
Es wäre aber noch viel schöner und besser, wenn die Forstpartie im Ganzen eine Avantgarde darstellen könnte in der Gesellschaft in Bezug auf eine sehr moderne Auffassung von nachhaltig gelebter Bewirtschaftung eines natürlichen Ökosystems. Blickt man am Rand unserer Zeit nach vorn, dann deuten sich Umrisse einer großen Transformation an. Und das ist nicht so überraschend, denn in den kommenden Jahrzehnten wird es globale Verwerfungen bzgl. der Rohstoff- und Wasserversorgung geben und globaler Klimaveränderungen mit Naturkatastrophen, Menschenmengen werden aufstehen, wandern und kämpfen. Die Zeit ist gekommen, wo technische Lösungen allein nicht mehr ausreichen werden. Und die Herausforderung wird darin bestehen, von innen heraus, an qualitativen Kriterien zu arbeiten. Wir Forstleute haben mit der Wortwerdung von Nachhaltigkeit große Beachtung erhalten. Warum nicht wieder einen zukunftsweisenden Wurf wagen, der uns Respekt und Vertrauen einbringt? Es gibt keine bessere Steilvorlage als den Wald als Erkenntnisobjekt. Die Zeit reiner Ressourcennutzung ist vorüber, heute gilt es Potentiale zu entfalten. Das gilt sowohl für den Wald als auch für uns Menschen in einem Forstbetrieb.
Potentiale zu entfalten entspricht wohl am ehesten der Idee umfassender Nachhaltigkeit und dem Prinzip der Evolution, des Wandels, des Überlebens im Sinne der besten Ideenauslese als Schöpfungsprozess. Das Tragende und Zukunftsweisende an der Idee des Dauerwalds ist ihr Charakter im Sinne der Einfachheit und der Anwendung als adaptives Management.

Wir freuen uns weiterhin auf den lebendigen Austausch mit Hessen-Forst.

Ich schließe mit einem Zitat des unlängst verstorbenen Quantenphysikers Hans-Peter Dürr, das uns als großer gemeinsamer Nenner verbinden kann:
"Unsere Aufgabe ist es, das zu erhalten, was ist und zugleich Vitalität, Produktivität, Elastizität und Kreativität in das Bestehende einzuspeisen."