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Jagen für den Wald! 20 Jahre waldgerechtes Jagen

ANW-Exkursion am 22.Mai 2013 in die Hatzfeld-Wildenburg´schen Wälder in Rheinland-Pfalz
Jagen für den Wald! 20 Jahre waldgerechtes Jagen - Zeigt der Wald, ob die Jagd stimmt?


Waldbau und Schalenwildmanagement in einem FSC-zertifizierten ANW-Betrieb - ANW-Exkursion in die Rheinland-Pfälzischen Wälder der Hatzfeld-Wildenburg´schen Forstverwaltung am 22. Mai 2013

Führung durch Nikolaus Graf Hatzfeld (Miteigentümer), Dr. Franz Straubinger (Betriebsleiter) und Thomas Boschen (Revierleiter der Rfö. Oberbirkholz und Vorsitzender des ÖJV Rh.-Pf.) (Bericht Dagmar Löffler)

75 überwiegend hessische Forstleute nahmen an der ANW-Exkursion am 22.Mai 2013 in die Hatzfeld-Wildenburg´schen Wälder in Rheinland-Pfalz teil. Das große Teilnehmerinteresse lag sicher nicht zuletzt daran, dass sich der Betrieb vor 23 Jahren auf den Weg zum Dauerwald gemacht hat und dabei von Anbeginn mit einem zielorientierten Konzept auch die Jagd konsequent dem Primat einer natürlichen Waldentwicklung unterstellt hat. Das Leitbild, dessen Verifizierung am Objekt selbst, nämlich im Wald, an etlichen Exkursionspunkten zur Anschauung und Diskussion stand, hat uns alle das Wunder eines Waldes mit ökologisch angepasster Wilddichte erleben lassen!
Ein Wald mit allen dort vorkommenden Baumarten ohne jegliche Schutzmaßnahmen:
Naturverjüngung aus Buche, Eiche, Hainbuche, Edellaubholz, Eberesche, Birke, Aspe, Weide, Erle, Fichte, Lärche und Kiefer sowie Pflanzungen zur Anreicherung, Ergänzung, Unterbau oder Voranbau aus Weißtanne, Douglasie und Buche, dazu die vielen Arten der Kraut- und Strauch-Vegetation in ihrem natürlichen Spektrum. Die Dynamik der vom Wilddruck befreiten jungen Bäume in ihrer natürlichen Sukzession ist unvorstellbar und auf diese Weise ist es möglich, mit wenig Aufwand (nach dem Holzeinschlag Nachhiebspflege in Kombination mit Jungwuchspflege mit 2,0 Std./ha) die Buchen-Naturverjüngung in ihrer dominanten Rolle zu regulieren und damit die gewünschten Mischbaumarten auf einen guten Weg zu bringen mit allen Optionen, die der Betrieb zur Vorsorge und zur Erfüllung aller Funktionen benötigt.
Um es vorwegzunehmen: Das Leitbild eines lernenden und zielorientierten Betriebes mit dem Anspruch einer nachhaltigen "Naturgemäßen Erwerbswaldwirtschaft" konnte im Wald nachvollziehbar bestätigt werden, so dass sich in Gedanken an das heimatliche "Wildmanagement" kontrastreich und klar das "Leidbild" der real existierenden Verhältnisse in der überwiegenden Anzahl unserer Wälder abzeichnete.

Der Wald

Der Forstbetrieb "Schönstein / Crottorf" im Rheinland-Pfälzischen Siegerbergland wird mit einer Gesamtfläche von 7099 ha von 5 Revierförstereien betreut (1.700-bis 1.900 ha).
Nährstoffarme Ausgangssubstrate wie devonische Schiefer, Grauwacke, Tonschiefer, Quarzite generieren überwiegend ärmere, basenarme Böden wie podsolige Braunerden. Die Höhenlage reicht von kollin bis submontan, Durchschnittstemperatur 8,5°C, in der Vegetationszeit 14,5°C, Jahresniederschlag 1.100-1.400 mm, sämtliche Expositionen und Hanglagen vorkommend.
Die potentielle natürliche Vegetation besteht überwiegend aus Buchenwäldern mit Edellaubholz und Eiche, Eichenmischwälder mit Birke und Kiefer. Historisch handelt es sich um eine jahrtausende alte Region des Erzabbaus mit Übernutzung (Streunutzung, Niederwald, Wald-Feldwirtschaft, Reparationshiebe, Emissionen). Auch hier hat die Epoche des Fichten-Anbaus ihre Spuren hinterlassen mit den üblichen Folgen der Kalamitätsherrschaft.

Seit 1990 erfolgte die konsequente Umstellung der Kahlschlags- und Reinbestandswirtschaft auf naturgemäße Waldwirtschaft mit folgenden Hauptzielen als Leitbild:
Oberste Prämisse allen waldbaulichen Handelns ist das permanente Abwägen, ob eine Maßnahme überhaupt durchgeführt werden muss oder ob die biologische Automation eine Aktivität überflüssig macht bzw. minimiert; erst dann wird das "Wie" - nämlich die betriebswirtschaftlich vernünftigste Variante - diskutiert und realisiert. Die Herleitung der Einschlagshöhe und -struktur wird durch die Forsteinrichtung und eine permanente Stichprobeninventur regelmäßig kontrolliert und definiert.
Alle Investitionen müssen begründet und für den Eigentümer nachvollziehbar sein. Kurzfristiges, monetäres Gewinnstreben tritt gegenüber langfristigem Denken und Handeln zurück.

Der Betrieb besteht aus Wald, Menschen und Zahlen. Belastbare Zahlen aus dem Wald werden erzeugt durch eine permanente Stichprobeninventur. Sie generiert nicht nur Zahlen von Festmetern in Vorrat und Zuwachs, sondern auch Aussagen über Qualitäten und Werte (!), Mischung, Struktur, Wildverbiss, Schäden und natürliche Verjüngungsdynamik.
Es ist die einzige Möglichkeit, objektivierbare Zusammenhänge herzustellen, um daraus betrieblich fundierten Entscheidungen abzuleiten und entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen.
Der Forstbetrieb ist seit ca. 20 Jahren FSC-zertifiziert. Hermann Graf Hatzfeld selbst war Pionier als Vorsitzender der FSC-Gruppe Deutschland und hat in den ersten Jahren aktiv an den Zielen und der Umsetzung einer echten nachhaltigen und ökologischen Waldwirtschaft mitgewirkt.
Der Eigentümer sieht in der FSC-Zertifizierung unter anderem auch die Chance, seine Form der ökologischen Waldwirtschaft der Allgemeinheit glaubhaft zu vermitteln.

Im praktischen Forstbetrieb werden im 4-jährigen Turnus Pflegeblöcke gebildet, in denen dann alle notwendigen Arbeiten erledigt werden:
Hauung und im Folgejahr Nachhiebspflege / Jungwuchspflege /Pflanzungen / Wegebau.
Die Pflege von Auslesebäumen, die Nutzung vom starken und schlechten Ende, die Ernte hiebsreifer Bäume unter Berücksichtigung von Biotopbäumen findet in der Oberschicht statt, in der Mittelschicht werden vitale Bäume (Kraft´sche Baumklasse 3) als Optionen in der Überführungsphase vitalisiert und dimensioniert und in der Unterschicht wird mit der Pflege sichergestellt, dass die gewünschten Baumarten in ausreichender Zahl und Qualität in die Mittelschicht einwachsen können. Dabei hat die Naturverjüngung Vorrang, Lücken und Löcher werden mit schattenerträglichen Baumarten wie Douglasie und Weißtanne angereichert. Die Baumzahlen der Kulturpflanzen werden dabei auf das Notwendigste beschränkt. 2-300 Weißtannen und oft nur 100 Douglasien pro Hektar reichen dann aus, um diese ertragreichen Nadelhölzer im Betrieb und im Mischgefüge in ausreichendem Umfang zu etablieren und zu sichern. Da gibt es keinen festen Zeitplan, feste Hektarzahlen oder Pflanzverbände, denn Entscheidungen werden optional unter Ausnutzung der natürlichen Wuchsdynamik und damit einzelfallweise getroffen. Im Rahmen einer Untersuchung von Prof. Erwin Hussendörfer zeichnet sich ab, dass bei der Weißtanne die Stockachselpflanzung evidente Vorteile hat für Anwuchserfolg und Zuwachsleistung der Jungpflanzen. Das mag daran liegen, dass die Tanne wie auch einige andere Nadelbaumarten die "Kadaververjüngung" nutzen.
In der Pflege von Fichtenbeständen geht man allmählich zur Gruppenpflege über, was Vorteile für die Vorratshaltung in Kombination mit der Nachwuchslenkung und der Stabilität hat. Das Zusammenlassen und Pflegen von "Patches" hat zur Konsequenz, dass entsprechend auch ganze Gruppen geerntet werden müssen.
Die Halbschattenwirkung der reifenden Bäume und der dienenden "Zauberstäbe" ist im Dauerwald der Erzieher. Dieser Halbschatten soll den Nachwuchs aus Tief- und Flachwurzlern, Licht-, Halblicht-, Halbschatten- und Schattbaumarten, Nadel- und Laubbäumen, Wirtschaftsbaumarten und rein biologisch dienenden Baumarten, mehrstufig, locker und qualitativ gut erziehen.
Der durchschnittliche Vorrat für den Übergang in Dauerwaldstrukturen liegt in diesem Betrieb beim Laubholz bei 260-280 Efm/ha und beim Nadelholz bei 300-320 Efm/ha.
Der Nadelholzanteil auf der Gesamtwaldfläche beträgt 50%. Dabei ist zu bedenken, dass die Nadelhölzer zunehmend in Mischung mit herrschendem Laubholz und Laubholz-Nachwuchs auftreten und als Zeitmischung schon recht bald ihren Platzhalter wieder freigeben. Die problematischen Aspekte des Nadelholzes im Wald relativieren sich erheblich durch die Nutzung ihrer Artenvielfalt (Fichte, Lärche, Kiefer, Weißtanne, Douglasie), durch ihre Mischung mit/in Laubhölzern, vor allem aber durch ihre strukturelle Einbindung im Gesamtwaldgefüge. Es ist seit langem bekannt, dass sich dadurch entscheidende Synergieeffekte ergeben, die direkte positive Auswirkung haben auf Vitalität, Stabilität und Zuwachs und weiterhin auch Vorteile bieten für die Biodiversität im Wald sowie für die Erhaltung und Verbesserung der Bodenkraft.

Die Jagd
Die Jagd ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Erfüllung der betrieblichen Ziele. Sie ist abgestimmt auf die waldbaulichen und ökologischen Notwendigkeiten und entsprechend ist die Organisation des Jagdbetriebes und des Wildmanagements eine direkte Ableitung aus dieser Zielsetzung.
Knapp die Hälfte der Betriebsfläche wird in Eigenregie bejagt, der Rest ist aufgeteilt in 22 Pachtreviere unterschiedlicher Prägung. In Absprache und Abstimmung mit dem individuellen Profil eines Pächters oder Jagdmitarbeiters werden Größe und Serviceleistungen bestimmt. Der Jagdpachtvertrag enthält alle wichtigen Parameter, die dem Betrieb eine aktive Rolle im Sinne der Zielerreichung erhalten: Die Hauptbaumarten werden definiert, die Schadensregulierung festgelegt, der körperliche Nachweis vereinbart und bei nicht zielkonformer Jagd die Auflösung des Vertrages ermöglicht.
Jährlich findet vor Beginn der Jagdsaison eine gemeinsame Bereisung des Jagdrevieres statt. Dabei wird das Wildschadensmaß grob taxiert. Es werden keine Verbissgutachten durchgeführt, denn sie laufen mit ihrer Systematik immer ins Leere (!). In Augenschein genommen werden insbesondere Kahlflächen und der Tannen-Voranbau. Nach Begutachtung wird dann gemeinsam der Abschuss vereinbart.
Die Flächengrößen pro Jagdpachtrevier liegen zwischen 40-250 ha, durchschnittlich bei 100 ha
pro Person, die Jagdpachten sind so moderat, dass eine ausreichende Anzahl an geeigneten Jägern gefunden werden kann.
Alle Mitjäger und Pächter müssen die betrieblichen Ziele mittragen. Es wird Wert auf eine menschlich einvernehmliche Atmosphäre gelegt und in der Gemeinschaft und mit den zuständigen Forstleuten werden die JägerInnen motiviert, mitgenommen und begleitet. Entscheidend ist letztlich die jagdliche Präsenz auf der Fläche und der Jagderfolg.
Die Strecken schwanken im langjährigen Mittel: Nach der Umstellung auf naturgemäße Waldwirtschaft gingen sie innerhalb von 7 Jahren hoch von 7 bis auf 20 St./100ha, fielen dann auf 6-8 St./100 ha und steigen seit Kyrill wieder an auf 15 St./100 ha.
Beim Abschuss gilt prinzipiell "Zahl vor Wahl". In Rheinland-Pfalz wird der Bockabschuss ab Mitte Oktober nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Nach jahrelanger Dokumentation der Jagdstrecken hat sich herausgestellt, dass auch die "zufällige" Jagdstrecke zum "Hegeziel" führt - also zu populationsgemäßen Anteilen nach Geschlecht und Altersklassen - mit und ohne Hegemodell.
Insgesamt repräsentieren die Jagdstrecken regelmäßig 80% des Rehwildes aus der Jugendklasse und 20% aus der älteren Fraktion mit intelligenter Feindvermeidungsstrategie.
Im Mai/Juni und September werden auf der Einzeljagd/Sammelansitzen 67% der Strecke erzielt.
Da sich die Rehe auch in Hatzfeld´schen Wäldern nicht gerne erschießen lassen, beträgt der durchschnittlich Aufwand pro Reh 6 Ansitze. In den Monaten November bis Januar werden auf Drückjagden 31% erlegt. Die Fallwildrate beträgt nur 2%. Die Drückjagden finden regelmäßig auf Flächen von ca. 250 ha statt in ca. 5 Treiben mit 30-40 Hunden.
Für die Kirrung von Schwarzwild gilt die Regel, dass an jeder Kirrung pro Jahr mindestens 5 Sauen geschossen werden müssen, um sie als sinnvolles Hilfsmittel zu rechtfertigen.

Die Vorteile der auf diese Weise erzielten tragbaren Wildichte sind:
Nach Kyrill (ca. 3-facher Jahreseinschlag an Sturmholz) mussten pro Revier nur ca. 10.000 Pflanzen in Kultur gebracht werden.
Der Einsparungseffekt durch die oben genannten Kriterien beträgt nach einer Diplomarbeit von Mark Illerich (FH Göttingen, 1998) 125 EUR/Jahr u. ha. Der Jagdbetrieb wirft z. Z. einen Gewinn von 5,-EUR /Jahr u. ha ab (bei eigener Wildvermarktung).

Naturgemäße Waldwirtschaft und die Umstellung in einen Dauerwaldbetrieb ist weit mehr als angewandter Waldbau, naturgemäße Waldwirtschaft ist Zehnkampf und erfordert eine klare, durchdachte Strategie aller gesamtbetrieblichen Abläufe. Nur ein lernender und ständig denkender Betrieb unter Beteiligung aller Mitarbeitenden führt zur Weiterentwicklung, Motivation und Realisierung eines gelebten Leitbildes und Erreichung eines Langfristzieles. Stetigkeit im Handeln, Präsenz auf der Fläche und Kontinuität des Personals sind dabei wichtige Parameter. Deshalb sind neben einer Zahl von eigenen Forstwirten nur Stammunternehmer beschäftigt - häufig schon über Generationen hinweg -, um die Arbeiten in der gewünschten Weise und Qualität umzusetzen. Dass die Ziele auf der Fläche nur im Team umgesetzt werden können (incl. der Jäger), ist nicht einem Management-Konzept geschuldet, sondern das Resultat von zu Ende gedachten Schritten, die den Weg beschreiben zwischen Ausgangspunkt und Ziel.

Dauerwald heißt, auf ganzer Fläche
dauernd ernten, dauernd pflegen und dauernd jagen!
(Dr. Franz Straubinger)

Hinweis: Auf der Internetseite http://wald-wild-forum.de/ können interessante Kurzfassungen der Beiträge vom Wald-Wild-Forum (Göttingen 2010) abgerufen und heruntergeladen werden.